Mit klaren Regeln gegen die Moderne? Wie Hilde Dufter für den Erhalt der Trachtenkultur kämpft (2024)

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Von: Axel Wolfsgruber

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Seit 65 Jahren widmet sich Hilde Dufter der Bewahrung der traditionellen bayerischen Tracht. Die ehemalige Trachtenwärtin des Chiemgauer Alpenvereins hat nicht nur unzählige Trachtenstücke selbst gefertigt, sondern auch maßgeblich an der Erhaltung und Entwicklung der Trachtenkultur mitgewirkt.

Unterwössen – „Ich liebe die Trachtensache“, sagt Hilde Dufter. Dabei lacht die 81-Jährige mit wachen blauen Augen, als sei sie ein junges Dirndl. „Die Trachtensache ist mein Leben. Für mich hat es nie etwas anderes gegeben.“

Ihr Haar hat die Unterwössnerin streng nach hinten gekämmt und mit einer Haarspange fixiert. Ihre Bluse leuchtet in reinem Weiß und ihre lange Schürze ist breit und lang. So muss es sein. Hilde Dufter kennt sich aus mit den historischen Richtlinien der Tracht. Sie hat sie vor Jahrzehnten mitentwickelt. „Die Trachtensache habe ich in Fleisch und Blut.“

Seit 65 Jahren beschäftigt sich die gebürtige Ruhpoldingerin mit den Ursprüngen von Trachtenröcken und Lederhosen. 15 Jahre lang bekleidete sie das Amt der Trachtenwärtin im Chiemgauer Alpenverein, später war sie stellvertretende Landesvorsitzende im Sachausschuss Tracht. Ihr Ehemann Otto stieg vom Plattler zum Vorstand des Unterwössner Trachtenvereins auf, führte 20 Jahre den Chiemgau-Alpenverband und repräsentierte fast ebenso lang die bayerische Tracht im Landesverband. Dafür wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande und dem bayerischen Verdienstorden ausgezeichnet.

Strenge Richtlinie gegen das Moderne

An ihrer Halskette hängt Ottos Ehering. Vor fünf Jahren ist er im Alter von 84 Jahren gestorben. Es ist ein großer Goldring. Otto Dufter besaß große Hände, die anpacken konnten, vor allem für die Reinheit der Trachtensache. „Die Trachtensache ist eine Lebenseinstellung“, erklärt Hilde. Für die Kleidung auf dem Münchner Oktoberfest hat sie nur eine abfällige Handbewegung übrig.

Die Dufters stemmten sich bereits in den 70er/80er-Jahren gegen das Moderne. Damals wurden die Röcke kürzer, die Absätze der Pumps höher und hielt die Schmuckkette Charivari Einzug. „Das vermischte sich alles mit der Tracht“, erinnert sich Dufter mit spürbarer Abscheu. „Wir haben Richtlinien gemacht, um die Moderne zurückzudrängen.“ Diese Regeln haben bis heute Bestand.

Zwei Dutzend Dirndl und eine Hose

Zwei Dutzend Dirndl und eine Hose hängen in Hilde Dufters Schrank in ihrem Unterwössner Haus „mit den blauen Fensterläden“, wie sie Ortsfremden als Orientierungshilfe mit auf den Anfahrtsweg gibt. Die Hose hat sie nur ein einziges Mal getragen: Sie wollte den vier Damen ihrer Rommé-Gruppe mal einen kleinen Streich spielen, weil die sie damit neckten, dass sie ausschließlich Röcke trage.

Plötzlich fragt Hilde erschrocken: „Aber es geht doch jetzt hier nicht um mich? Es geht doch um die Trachtensache.“ Aus Hildes Sicht soll die Tracht stets im Vordergrund stehen. Andererseits sind die Tracht und die Hilde so sehr im Leben ineinander verwoben wie die Haare eines Gretelzopfs.

Einer ihrer schlimmsten Tage war die Augenoperation gegen den Grauen Star, der sie sich 2012 unterziehen musste. Die OP missglückte. Fortan sieht sie schlechter als zuvor und kann ihre Stickerei mit feinsten Nadeln nicht mehr verrichten. „Das geht mir fürchterlich ab“, sagt sie und legt ein Hosenträgerschild mit König-Ludwig-Bild und aufgesticktem Edelweiß und Almrausch auf den Tisch. Plastisch erheben sich die Blumen. Einen solchen 3D-Effekt könne keine Maschine produzieren, erklärt sie. Seit mehr als 100 Jahren gehören solche Schilde, die die Hosenträger vorne zusammenhalten, zur Chiemgauer Tracht. Dutzende hat sie davon hergestellt.

Auf dem Sofa neben dem grünen Kachelofen liegen halbfertige Loferl aus weißer und hellgrüner Wolle. Wenn der Fernseher läuft, beginnt Hilde das Stricken. Ein Paar handgefertigte Trachtenstrümpfe kosten schnell gut 100 Euro. Überhaupt ist Tracht keine Ramschware. Mindestens 6000 bis 8000 Euro kostet ein vollständiges Gewand. Wer originalgetreue Strümpfe will, holt sie sich bei Hilde, wer eine Auskunft zur Tracht braucht auch.

Dufter hat früher Goldstickkurse geleitet, wurde zu Info-Nachmittagen über Tracht eingeladen und flocht an Festtagen im Akkord stundenlang Vereinsmitgliedern Gretelzöpfe. 20 Minuten braucht sie für eine perfekte Frisur. Noch heute steht manchmal ein Chiemgauer an ihrer Haustür, um Auskünfte zu Trachten-Regeln einzuholen. Hilde sagt: „Der Trachtenverein ist für mich wie eine Familie.“ Hilde hatte nie den Wunsch, woanders zu leben. Einige Male war sie für die bayerische Trachtensache mit dem Verein in den USA. Das genügt ihr.

Vier Kilometer zum Kurhaus gelaufen

Ihre Leidenschaft für die Tracht fängt harmlos an. Klein-Hildchen liebt Blasmusik, die „richtige bayerische Blasmusik“ von Otto Ebner oder Ernst Mosch. Immer wenn das Mädchen von der Arbeit heimkommt, dreht sie das Radio auf Anschlag, „ganz laut, da wusste meine Mama, dass ich daheim bin“. Auch tanzt Hilde für ihr Leben gerne und besucht regelmäßig die Tanzveranstaltungen des Ruhpoldinger Trachtenvereins.

Mit knielangem Trachtenrock läuft sie damals vier Kilometer zum Tanzvergnügen ins Kurhaus – und wieder zurück. Auch im Winter. „Stiefel gab es noch keine. Mir war eiskalt an den Füßen“, erinnert sie sich. „Etwas anderes gab es nicht.“ Begrüßungsabend, Heimatabend. Plattlerprobe. Almtanz. Viermal in der Woche ist die 17-Jährige beim Trachtenverein aktiv.

Plötzlich legt sie eine alte Schwarz/Weiß-Fotografie von sich auf den Tisch. Das Porträt zeigt eine hübsche Frau mit pechschwarzer Gretelfrisur. „Die Leute haben geglaubt, ich hätte Draht in den Haaren.“ Beim Tanzen lernt sie ihren Otto kennen. Gemeinsam mit Freunden war Otto mit dem Auto von Unterwössen zum Preispattl nach Ruhpolding gereist. Otto und Hilde finden sich auf der Tanzfläche. Hildes Freunde machen sich einen Spaß daraus, immer sofort abzuklatschen, wenn das Paar auch nur ein einige gemeinsame Schritte aufs Parkett legt. „Die haben gemerkt, dass er ein Auge auf mich geworfen hat.“ Vom Treiben ihrer Freunde genervt, läuft Hilde heim.

Nach dem Winter radelt Hilde dann mit Freundinnen nach Reit im Winkl. Eines der Dirndl will dort einen jungen Mann treffen. Es ist Otto – und der ist tatsächlich mehr an Hilde, als an ihrer Freundin interessiert. Ihre erste echte Verabredung ist Wochen später beim Volksfest in Siegsdorf. „Dann ist es bald ernst geworden“, erinnert sich Hilde und schmunzelt.

Das 21. Jahrhundert hat die Tracht längst eingeholt. Armbanduhren, Sonnenbrillen, „schlamperte Haare“, grelle Schminke, Strohhüte gegen Sonnenstrahlen oder allzu auffälliger Geschmeide – das geht alles nicht, findet Hilde. Einmal hat sie einen Fotografen sogar gebeten, Schmuck auf einer Abbildung aufzuhellen, weil das abgebildete Metall dunkel angelaufen war. Alles muss ordentlich und sittsam erscheinen. „Was hat der Otto für all diese Regeln gekämpft“, sagt sie und erklärt, dass man Verstöße schon deshalb nicht „durchgehen lassen darf, weil die Nächste dann sagt, das mache ich auch.“ Für Hilde ist das Wort Tracht nicht zufällig Teil des Wortes Eintracht.

Erbe verbindet über den Tod hinaus

Im Herrgottswinkel in Dufters Wohnzimmer hängen gerahmte Fotografien ihrer zwei Kinder und vier Enkelkinder – alle tragen sie Tracht. Auch ihr Otto schaut einem mit klarem, stolzem Blick von der getäfelten Wand entgegen, auf seinem Velurehut prangt ein gewaltiger Gamsbart. Hilde sagt: „Ohne die Freude an der Trachtensache wären wir uns wohl nie begegnet.“ Die Dufters haben sich Zeit ihres Lebens der Seriosität des Heimatgewands verpflichtet. Dieses Erbe verbindet das Paar über den Tod hinaus. „Wenn ich in der Trachtensache unterwegs bin, denke ich immer an meinen Otto“, sagt Hilde und streicht die gemusterte Schürze ihres Rocks glatt.

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